oder „was hat ein Blutbad mit einem Weltrekord zu tun?“
Es fing alles so harmlos an. Superbini und der Mann an ihrer Seite saßen im Auto und hörten einen lokalen Radiosender. Ein seriös wirkender Herr aus Schleswig-Holstein berichtete über die Vorbereitungen zu einem Weltrekordversuch. Man plane, zusammen mit einer lokalen Musikkapelle das blutigste Musikvideo aller Zeiten zu drehen. Und man suche noch Statisten. Zeitgleich entfuhr es Superbini „ja wie cool“ während dMaSS „oh oh“ murmelte. Half alles nix. Kaum daheim, machte ich mich an die Recherche, wo und wie man sich bewerben könne. Superbini wäre nicht Sherlock Superbini, hätte sie es nicht innerhalb kürzester Zeit herausgefunden. Es erging eine Kurzbewerbung im modernen eMail-Format mit ausdrucksstarkem Foto:
Und wenige Tage darauf erging die Zusage:
Eine Reihe von Nachrichten zwecks Informationsaustauschs später stand fest – es sollte trotz der allgemein geltenden Einschränkungen, die die Pest des 2. Jahrzehnts des 21. Jahrhundert uns auferlegte, stattfinden.
Am ersten Wochenende des Halloweenurlaubs. Der Woche, an dem wir eigentlich als einen Jahreshöhepunkt geplant hatten, am 31. Oktober zum Whitby Goth Festival zu reisen. Nun ja. Aufgeschoben… Und so ein Videodreh ist definitiv ein sehr cooler Ersatz dazu. Eine Vorbesprechung sollte am Freitag nachmittag stattfinden, die eigentlichen Dreharbeiten dann am Samstag, mit Option auf Nachdreh am Sonntag.
#raisepanic – ich brauchte eine Unterkunft. José ist toll, aber zum Übernachten völlig ungeeignet. Es sei denn, man ist Pygmäe, was ich nicht bin.
„Wenn Du zelten möchtest, kannste das im Garten vom Sänger in Hamweddel.“ Ich dachte kurz an Wacken 2019, wo ich im August auf dem norddeutschen Acker schon so gefroren hatte, und beschloss, dass Zelten keine Option sei. Zum Glück fand ich eine sehr nette ältere Dame, die sich bereit erklärte, mich zu einem akzeptablen Preis in der Einliegerwohnung ihres Hauses unterzubringen. Sie sagte später, sie vermiete eigentlich nicht mehr, aber sie habe Mitleid mit mir gehabt :). So machten sich Superbini und der treue José an einem frischen Freitagmittag auf eine kleine Reise quer durch Norddeutschland.
Es war eine der wenigen Gelegenheiten im Leben, an denen ich völlig underdressed war – zum Glück gab es einen reichhaltigen Fundus an Leihklamotten, und da ich eine kostümtechnisch eher weniger anspruchsvolle Schankmaid darstellen sollte, hatte ich zunächst einen Leihumhang und später dann ein geschenktes Kleid. Ein Wikinger namens Thorsten hat mir das überlassen, es gehörte mal seiner Ex-Frau und er meinte, sie braucht es nicht mehr. Thorsten, falls du das liest – vielen Dank noch mal!
Der Drehtag war superlustig. Maleen, die Sängerin, hat uns bei ihr daheim alle geschminkt und aufgebrezelt. Haartechnisch war ja bei mir nicht viel zu machen, daher trug ich ein kleidsames Tuch auf dem Kopf. Es trug sich alles am Dorfteich zu, an frischer Luft, mit genug Abstand zu allen – fast wie in Hollywood. Nur eben in Hamweddel.
Komischerweise waren, als es am Abend dann daran ging, sich am brennenden Klavier mit aus Rote-Bete-Pulver hersgstelltem Kunstblut aus der Gartenpumpe besprühen zu lassen, alle Freiwilligen spontan verschwunden. Es blieb noch übrig – die Band, ein netter IT-Nerd aus Hamburg, und ich. Es war dunkel. Es war schon recht kalt.
Und wir standen da und wurden aus lichter Höhe mit Rote-Bete-Sprotz beregnet. Es war nass. Es war klebrig. Es war schon irgenwie eklig. Ich hab versucht, neutral dreinzublicken und gehofft, dass man nachher nicht sehen würde, wie ich vor Kälte am bibbern war. Aber was tut man nicht alles für einen Weltrekord! Oder um ins Fernsehen zu kommen!
Als ultimativen Luxus mussten wir zum Sauberwerden nicht in den Dorfteich springen, sondern wurden in einem mit Plastikfolie ausgekleideten Kleinbus verfrachtet (übrigens war nur der Bus mit Plastikfolie ausgeschlagen, wir waren nicht in Folie gewickelt) und durften unsere mit Rote-Bete-Glipsch eingesauten Luxuskörper im Haus von Maleen wieder in einen vorzeigbaren Zustand bringen.
Für uns Darsteller war die eigentliche Arbeit damit erledigt. Jetzt musste noch alles fertig geschnitten und zusammengestellt werden, damit pünktlich zum Halloweensamstag die Premiere des blutigsten Musikvideos aller Zeiten bis jetzt live im Internet über die Bühne gehen konnte.
Für mich war klar, das muss adäquat gewürdigt werden. Nur wie? Wie bringt man die Assoziation dunkel und rot, den Geruch nach Lagerfeuer, Gegrilltem und Bier zusammen? Und die Erinnnerung daran, wie dreckig wir waren (ihr glaubt gar nicht, wo überall man Rote-Bete-Brei findet..). Und wie toll Duschen sein kann (auch wenn der Sprotz dann den Abfluss verstopft hat und Maleen mit einem Pümpel das Rohr wieder gangbar machen musste).
Ganz klar. Mit Seife. Eine eigens kreierte Seife musste her. Oliven- und Kokosöl als Basis, Rizinus für den schönen Schein – äh, Schaum, und Gänse- (weil ich an ganz vielen freilaufenden Gänsen vorbeigekommen war) und Schweineschmalz (weil es Schweinesteaks vom Grill gab als Catering). Welch wunderschöne Möglichkeit, endlich mal meine neuen Duftentdeckungen Woodsmoke, Bacon und Beer auszuprobieren. Was nach getaner Arbeit hier so in der Form schlummert (schade, daß übers weltweite Netz kein Duft übertragen werden kann)
sieht ausgeformt, aufgeschnitten und bestempelt halloween-mässig dekoriert so aus:
Jedes Stück ist anders gemustert – wie die roten Tropfen halt in die schwarze Grundmasse eingerieselt sind:
Der Duft war am Anfang wirklich so überwältigend, dass ich die Stücke zum Reifen in den heimischen Heizungskeller gestellt habe. Da hatten sie es trocken und warm, und den Heizkessel störte es auch nicht, dass es um ihn herum nach Lagerfeuer roch.
Verschenkt hab ich sie jetzt zu Weihnachten. Da waren sie fast 2 Monate alt, gut durchgetrocknet und alt genug, die Reise in den hohen Norden (von hier aus gesehen) anzutreten. Ein erstes Teststück war vorab schon nach Bayern gegangen. Es gefiel. So hoffe ich, dass auch die anderen gefallen.
Es gab wenige Highlights in diesem Jahr. Unsere Reise nach Barcelona im Januar (damals.. als man noch reisen durfte…). Mein 21. 29. Geburtstag im Februar. Der 21.29. Geburtstag meiner Freundin Anja im Sommer, den wir auch wieder feiern durften. Die Tatsache, dass wir bisher ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Pandemie gekommen sind.
Und eben dieses Wochenende mit den Drunken Fools. Es war eine tolle, verrückte, unvergessliche Erfahrung. Danke!