Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt.
Hesiod, Grieche, lange her
Neulich stand in der lokalen Presse ein Leserbrief in der Rubrik “Beratung in speziellen Lebenslagen”. Die Autorin der Kolumne hat ihn an mich weitergeleitet, weil sie keine rechte Antwort zu geben wusste. Ich will Ihnen beides – den Brief und die Geschichte, die mir dazu einfiel – nicht vorenthalten.
Tja. Warum hat die Dame wohl so böse geschaut?
Warum kann Ella nicht einfach Seifen und selbstgerührten Cremes auf dem Markt verkaufen? Beziehungsweise – kann sie schon. Sie darf und sollte es halt nicht einfach so. Da geht’s nicht nur um böse Blicke von der Dame nebenan. Da geht’s ganz hart um Gesetzesverstösse.
Whooot??? Gegen welches Gesetz verstösst die arme Ella denn? Alles ist mit Liebe handgemacht! Sie benutzt immer Rezepte aus dem Internet! Und wenn sie in ihrer Küche kocht, ist es doch auch ok, wenn sie da ihre Cremes rührt?
So oder so ähnlich denken ganz ganz viele, die für sich das Thema “Kosmetik selber machen” entdeckt haben.
Auch da gibt es wieder die, die für sich selbst rühren und das vielleicht mal an Freunde oder Bekannte verschenken. Die bekommen dann auch mal eine Tafel Schokolade. Oder eine Flasche Öl. Oder mal ein Zehnerle zugesteckt. Ist – rechtlich betrachtet – eine Grauzone, aber solange es nicht ausartet.
Dann gibt es die anderen. Die oft selbsternannten aufsteigenden Sterne am Kosmetikhimmel. Oft sind’s Sterne am Seifenhimmel, weil für’s Seife machen relativ überschaubare Zutaten und Werkzeuge benötigt werden. Diese teilen sich wieder in zwei Gruppen auf.
Die eine Gruppe weiss schlicht nicht, dass es für den Verkauf von Kosmetika (“Bereitstellung auf dem Markt”) EU-weit gültige gesetzliche Regelungen gibt, die durch nationale Gesetzgebung verfeinert werden. Diese sind für jeden, der auch nur ein Stück Seife oder einen Tiegel Creme gegen Geld an eine andere Person abgibt, rechtlich bindend.
Die andere Gruppe hat davon schon mal was gehört, aber es interessiert sie einfach nicht. Weil es zu kompliziert ist, weil es zu aufwändig ist, weil “ich ja nur ab und zu mal auf Weihnachtsmärkten verkaufe”, weil weil weil.
Wollen wir Ella mal nichts Böses unterstellen. Nehmen wir an, sie gehört zu Gruppe Eins und weiss es nicht besser.
Liebe Ella – hier kommt Lesefutter für dich! Du fragst dich nach der Einleitung bestimmt schon:
Was aber ist denn daran so kompliziert? Ist es wirklich so aufwändig? Es gibt doch aber viele Seifenstände auf den Märkten. Machen die das alle richtig?
Kompliziert… es ist immer eine Frage, wie gerne du dich mit Gesetzestexten auseinandersetzt.
Ich persönlich habe einen nerdigen Spass dran, sowas zu lesen. Ein Überbleibsel aus meinem früheren Berufsleben, wo ich mich mit gefährlicheren Dingen beschäftigt habe als mit Lauge und Parfümölen.
Die für uns Kosmetikmacher verbindlichen Gesetzestexte sind auf EU-Ebene die sogenannte “VERORDNUNG (EG) Nr. 1223/2009 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel“.
Whohoo. Das klingt schon sehr beeindruckend. Ist es aber eigentlich nicht. Darin ist in vielen Kapiteln genau erklärt, welche Begriffe was bedeuten und was zu beachten ist. Es gibt Anhänge dazu, die regelmässig bearbeitet und ergänzt werden. Darin finden sich Erläuterungen über Inhaltsstoffe, die erlaubt, verboten oder nur eingeschränkt zur Benutzung zugelassen sind.
Auf nationaler Ebene gibt es in Deutschland noch die “Verordnung über kosmetische Mittel (Kosmetik-Verordnung)“. Diese verweist aber in den relevanten Passagen vollumfänglich auf die EU-Verordnung. Lediglich die Paragraphen 8 und 9 – Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – zeigen auf das LFGB – Lebensmittel und Futter GesetzBuch. Hier sind wiederum die Artikel 4 – “Verkehr mit Mitteln zum Tätowieren und kosmetischen Mitteln” und Artikel 10 .
Besonders interessant in dem Zusammenhang ist übrigens auch der §5 Absatz 2/2. Ich nenne ihn liebevoll den “Törtchenparagraphen”. Hier steht nämlich schwarz auf weiss, dass es verboten ist “mit Lebensmitteln verwechselbare Produkte für andere herzustellen, zu behandeln oder in den Verkehr zu bringen.” Bye Bye Seifencupcake. In unseren europäischen Nachbarländern wird das noch strenger gehandhabt, hier gibt es m.W. nur ein wirkliches Gerichtsurteil dazu. Am besten, du denkst überhaupt erst nicht daran, sowas anzubieten.
Der Törtchenparagraph steht in abgewandelter Form sogar in den Sicherheitsbewertungen , die du für jedes Produkt, das du herstellen möchtest, vorher bei einem zugelassenen Sicherheitsbewerter beantragen musst. Diese Firmen prüfen die eingereichten Rezepturen auf Verträglichkeit der einzelnen Inhaltsstoffe und legen im Zweifelsfall auch Grenzen fest, die für einen Stoff bei der Herstellung nicht überschritten werden dürfen. Sie arbeiten unter anderem auf Grundlage der ebenfalls in der EU-VO enthaltenen Informationen in den Anhängen I – X.
Wenn du als Kosmetikhersteller eine neue Rezeptur einreichst, musst du zu den Inhaltsstoffen immer sogenannte Materialsicherheitsdatenblätter vorlegen. Für Duftstoffe, also Parfümöle oder ätherische Öle, kommen noch die sogenannten Allergendeklarationen dazu. Die einzelnen Komponenten eines Duftstoffes werden in regelmässigen Abständen von der IFRA neu bewertet. So kann es vorkommen, dass ein Produkt, das im letzten Jahr noch eine unbedenkliche Einsatzkonzentration von 5% hatte, nach einer Neubewertung plötzlich nur noch zu 0,2% erlaubt ist. Oder manche Ingredienzen ganz verboten werden.
Bist du noch da? Oder schaust du mit grossen Augen auf deine Seifen und denkst dir “was für ein Mist”?
Nein? Gut 🙂 Aber du siehst schon, wenn du es richtig und konform machen will, gibt es eine Menge zu beachten.
Wenn du dich von all dem nicht abschrecken lässt, solltest du trotzdem nicht sofort loslegen und ein Gewerbe anmelden und dich bei der Handelskammer registrieren und eine Betriebshaftpflicht abschliessen.
Du hast in deinem Brief die Auffassung vertreten, dass du das alles in der heimischen Küche machen darfst.
Liebe Ella. Ich muss dich enttäuschen.
Zwischen dich und deine Kosmetikbusiness hat der Gesetzgeber noch mal eine Kontrollinstanz geschaltet. In den meisten Landkreisen (vive le Föderalismus) ist es das Veterinäramt, meist die Lebensmittelkontrolle, die für die Abnahme und Kontrolle einer Produktionsstätte von kosmetischen Mitteln zuständig ist. Mit der Behörde solltest du dich sinnvollerweise in Verbindung setzen, bevor du für alles andere Geld und Zeit opferst. Die Anforderungen an deine Produktionsstätte sind bundesweit leider nicht einheitlich festgeschrieben. Das macht es…. spannend. Grundsätzlich ist aber ein separater Raum mit abwaschbare Oberflächen gefordert, fliessend Wasser und eine angemessene Belüftung. Auch wenn du vielleicht mal deine eigene Chefin bist, solltest du dich mit den Grundlagen von Arbeitsplatzsicherheit auseinandersetzen.
“War es das jetzt endlich?” höre ich dich leicht genervt fragen.
Fast. Spinnen wir den Gedanken doch mal weiter.
Wenn du alles zusammen hast, deine Produktionsstätte offiziell abgenommen ist und du deine Sicherheitsbewertungen vorliegen hast, kannst du schon mal anfangen zu fertigen. Während die Seife reift, hast du noch genug Zeit für den Verwaltungskram.
Verwaltungskram???
Jaha.. zu früh gefreut! Der Spass geht jetzt erst richtig los! Für jede Charge, die du herstellst, musst du eine PID, eine ProduktInformationsDatein, anlegen. Du musst deine Produkte in der europäischen CPNP Datenbank registrieren. Das, und die Verpackung, muss übrigens auch das Produktetikett mit rein, insofern ist es schlau, wenn du alles schon so aufbereitest, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist.
Alles fertig? Super. Dann kannst du erst mal ein paar Wochen durchatmen, bis es Zeit wird, zu verpacken. Das ist dann immer ein bisschen abhängig davon, wie du deine Sachen präsentieren willst. Unverpackt, in Cellophan eingebügelt, in Tütchen, in Kartons – da hast du insofern freie Wahl, wie der in deiner Sicherheitsbewertung beim Kapitel “Verpackung” festgeschriebene Umfang nicht überschritten wird. Sollte da drin stehen “blaue Seife in braune Tüte aus Kraftpapier mit Kartonbanderole”, packst du halt 500 Stück Seife in braune Tüten und machst eine Kartonbanderole drum.
Mit denen zuckelst du auf deinen ersten Markt. Du hast dich rechtzeitig angemeldet, in einen Pavillon und Tische investiert und dir Gedanken über deinen Aufbau gemacht. Du bist voller Vorfreude, weil du weisst, dass du tolle Produkte hast, die du auch preis-wert anbietest. Preis-wert im Sinne von “sie sind ihren Preis wert”.
Im Idealfall ist das Wetter top, es stehen Feiertage wie Ostern oder Weihnachten an, es herrscht keine Wirtschaftskrise und der Veranstalter hat genug Werbung gemacht. Die Leute kommen und reissen dir deine Sachen förmlich aus den Hände. Am Abend hast du das Auto vollgepackt mit leeren Seifenkisten, und die Scheinwerfer senden ihr Licht gen Himmel, weil im Kofferraum die Geldsäcke die Hinterachse zum Boden drücken. Du denkst dir “Das war die ganze Mühe wert”.
Im schlimmsten Fall regnet es in Strömen, obwohl es Sommer ist. Es sind Ferien, alle sind in Urlaub, und weil keiner die Plakate gesehen hat, weiss keiner, dass DEIN Markt stattfindet. Dir gegenüber steht eine Dame, die dir beim Auspacken ihrer Kisten mit Seife und Badebomben erzählt hat, dass sie das auch nur so nebenbei und zu Hause in ihrer Küche macht.
Du hast genug Zeit, mal grob zu überschlagen, was dich das ganze Unterfangen bis jetzt schon alles gekostet hat (an Geld – über Mühe, Zeit und Nerven denkst du erst gar nicht nach). Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, kommt ein potentieller Kunde vorbei, den du natürlich trotz schlechten Wetters und sinkender Laune freundlich ansprichst. Und dann hörst du sie.. die Worte…
“Oh vielen Dank, ich hab mich grad schon bei Ihrer Kollegin da drüben eingedeckt. Die ist übrigens auch viel günstiger als Sie”.
Und jetzt denkst du “Nun weiss ich, warum die andere Dame damals so böse geschaut hat”.
Ella habe ich erfunden. Den Rest nicht. Ella steht symbolisch für diejenigen, die sich – bewusst oder unbewusst – nicht drum scheren, wie viel Zeit, Mühe und auch Investitionen diejenigen gewerblichen Sieder und Siederinnen aufwenden. Diejenigen, die wir “kleinen” gewerblichen Kosmetikhestellerinnen und -hersteller immer wieder auf Verkaufsveranstaltungen treffen.
Die meisten von uns fertigen noch selbst und lagern nicht Rezepturerstellung, Bürokratie und Herstellung an einen Dienstleister aus. Unser Ansinnen ist, unseren Kunden ein ausgereiftes, in jeder Hinsicht einwandfreies und unbedenkliches Produkt anzubieten. Bei vielen von uns hilft die Familie noch tatkräftig mit, oder der Partner steht auch mal mit ein Wochenende auf dem Markt (selbst wenn es sein Geburtstagswochenende ist…). Im anglophonen Sprachraum liest man ganz oft den Satz “Support small businesses”. Fühlen Sie sich eingeladen, das auch hierzulande zu tun! Wir stecken lieber jede Mark in die Seife und nicht in die Werbung – wie seinerzeit die Alpia-Schokolade Unsere Produkte stehen in der Qualität derer nicht nach, die anders als wir mit provokanten Kampagnen auf Social media auffallen. Testen Sie es aus! Demnächst auch auf einem Markt in Ihrer Nähe!
Falls sich übrigens jemand angesprochen fühlt, die zufällig Ella heisst und auf Märkten illegale Kosmetik verkauft – jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig. Aber jetzt weisst du ja, wie es richtig gemacht wird.